Schwanger werden und schwanger bleiben: Checkliste und praktische Ansätze

17.10.2025
Exeltis, Kinderwunsch, Schwangerschaft

Ein wichtiger Parameter zum Thema „Schwanger werden“ ist das Alter – so die einleitende Aussage des Vortrags von Prof. Dr. med. Nicole Sänger, Bonn. „Rein biologisch betrachtet liegt das optimale Zeitfenster der reproduktiven Phase zwischen 18 und 31 Jahren. Auch wenn es noch Zyklen und Schwangerschaften gibt, wird mit 41 Jahren das Ende dieser Phase definiert“, erläutert Sänger ihre fachliche Expertise und erklärt: Eizellreserve und -qualität würden im Laufe der Zeit abnehmen.

Je älter eine Frau werde, desto mehr Eizellen benötige sie, um schwanger zu werden. Doch auch wenn es um die Lebendgeburtrate gehe, spiele das Alter eine Rolle. „Aus Studien zu Elective/Social Egg-(EEF) und Medical-Freezing wissen wir, dass die kumulative Lebendgeburtrate mit der Anzahl an Oozyten steigt und höher bei jüngeren Patientinnen ist. Das Alter von 35 Jahren markiert dabei einen Schwellenwert“, berichtet Sänger. Laut Kalkulationsmodellen müsste sich eine ≤ 35-Jährige zur späteren Familienplanung ca. 15-20 Eizellen entnehmen und einfrieren lassen, um mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit1 Lebendgeburt zu bekommen, eine 38-Jährige bräuchte schon 40 Eizellen.1,2
Die 3 Säulen der Diagnostik
Im Rahmen der Diagnostik werde zur Prüfung der Zyklusfunktion ein „Diagnosezyklus“ durchgeführt, führt Sänger in den ersten Schritt ihrer 3 empfohlenen diagnostischen Säulen ein: An Tag 2-5 erfolgt eine Hormonbasisdiagnostik, inklusive Anti-Müller-Hormon (AMH) und Schilddrüsenparameter. Zum altersbezogenen Abgleich des Antral Follicle Count (AFC) würde man, so Sänger, eine vaginale Sonographie durchführen. „Das ist auch deshalb wichtig“, führt sie weiter aus, „da wir nicht selten über Myome stolpern, die möglicherweise ein Einnistungshindernis darstellen, oder über eine ausgeprägte Endometriose.“
In der Zyklusmitte wird die follikuläre Dynamik geprüft und beobachtet, ob sich die Gebärmutterschleimhaut adäquat zum Follikelwachstum aufbaut. Als letzter Schritt des Diagnosezyklus erfolgt in der Lutealphase der Ovulationsnachweis.
„Wenn Sie hier die klinische Information haben, dass die Patientin prämenstruelle Schmierblutungen hat, können Sie ab dem Alter von über 35 Jahren in der Lutealphase ein Gestagen verabreichen”, so Sänger, „liegen von Beginn an eine Zyklusstörung und/oder Auffälligkeiten im Labor vor, so kommt der Anamnese zu den bereits genannten klinischen und laborchemischen Untersuchungen zur genaueren Verifizierung der Diagnose eine wichtige Bedeutung zu.” Zur Überprüfung der Tubenfunktion – die zweite Säule der Diagnostik – stehen Laparoskopie oder Hysterokontrastsonographie (HyCoSy) zur Verfügung.
Sänger: „Eine Laparoskopie kommt besonders bei Patientinnen mit Dysmenorrhoe infrage oder bei vorliegenden Auffälligkeiten, die laparoskopisch weiter behandelt werden können, wie Myome oder auch Adhäsionen.“ Die dritte Säule fokussiert auf den Mann. Beim Mann sollten zwei qualitätskontrollierte Samenanalysen – das Basis- und Kontrollspermiogramm – nach den aktuellen Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durchgeführt werden. Zudem ist nach auffälligen Ergebnissen der Samenuntersuchungen eine andrologisch-urologische Untersuchung zur Abklärung organischer oder hormoneller Ursachen einer männlichen Fruchtbarkeitsstörung indiziert.
Thema PCOS
Mit Blick auf die präkonzeptionelle Situation stellt Sänger das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) – die häufigste Endokrinopathie bei Frauen im gebärfähigen Alter – in den Mittelpunkt. Die PCOS-Prävalenz variiert zwischen 6-10 %, je nach Diagnosekriterium.3 Frauen mit PCOS suchen meist wegen Zyklusstörungen (80-90 %) und Infertilität (40 %) die gynäkologische Praxis auf. Ein weiteres häufiges Symptom ist Hirsutismus, von dem geschätzt 65-75 % der PCOS-Patientinnen betroffen sind.4 Die Herausforderung: PCOS ist häufig mit Adipositas und Insulinresistenz verbunden.5, 6 Die Insulinresistenz geht mit einer Hyperinsulinämie einher – was wiederum über einen Circulus vitiosus die Androgenproduktion erhöht.7 „Diese Androgene verursachen zwei Hauptprobleme“, erläutert Sänger: „Blutungsstörungen und eine vorzeitige Follikelatresie.
Zudem bleiben viele Follikel inaktiv. Diese Ovulationsstörungen sind Body-Mass-Index (BMI)-abhängig. Jede BMI-Einheit bei einem Cut-off von über 29 kg/m2 reduziert die Chance auf eine Schwangerschaft inner halb von 12 Monaten um etwa 4 %.“ 8
Die Abortpatientin
„Bei Adipositas in der Schwangerschaft ist das Abortrisiko deutlich erhöht, was auch für Frauen gilt, die mit Spender-Eizellen schwanger wurden“, betont Sänger. Wiederholte Fehlgeburten sind ein herausforderndes Thema in der klinischen Praxis.
Das Risiko wiederholter Fehlgeburten steigt mit dem maternalen Alter und der Anzahl vorheriger Aborte:9 Die Diagnose habitueller Aborte bezieht sich auf klinische Schwangerschaften, die sonographisch oder histologisch nachgewiesen wurden. Diese Diagnose gilt bei ≥ 3 konsekutiven Aborten (Inzidenz: 1-3 %) – oder bei ≥ 2 konsekutiven Aborten – vor der 20. Schwangerschaftswoche.10 Wie die klinische Abklärung bei Fehlgeburten erfolgen sollte, zeigt die Leitlinie „Diagnostik und Therapie von Frauen mit wiederholten Spontanaborten“.10 Sänger betont, dass es in der Praxis wichtig sei, die Ursachen einer Fehlgeburt nicht zu früh zu analysieren und sich an die Definition zu halten. Es gäbe viel Überdiagnostik und -therapie. Das Alter der Oozyte gilt als häufigster Grund, eine Fehlgeburt zu erleiden bzw. nicht schwanger werden. Zum Abschluss ihres Vortrags ermutigt Sänger mit einem Verweis auf ihr bekannte Rechenmodelle: Eine Patientin mit Z. n. mehreren Aborten, worunter allerdings solche mit positiver Herzaktion waren, hat eine gute Chance, zu einem späteren Zeitpunkt eine Lebendgeburt erleben zu dürfen.
Take Home Messages
Faktenüberblick mit praktischen Checklisten zur Anwendung in der Praxis

Checkliste 1 – Schwanger werden
1) Das Alter der Patientin bei der Schwangerschaftsberatung ist entscheidend
2) Die Lebenssituation ist maßgeblich (z.B. Partnersituation wie Single-Mom oder Erkrankungen wie Metastasen bei Krebs)
3) Die Bestimmung des fertilen Zeitfensters ist sinnvoll
4) Die Anlage einer Eizellreserve ist individuell zu diskutieren

Checkliste 2 – Diagnostik
1) Durchführung einer Hormonbasisbestimmung, inkl. AMH und Schilddrüsen-Parameter
2) Kontrolle Impfpass, z. B. Röteln-Titer etc.
3) Vaginale Sonographie
4) Die Bestimmung des Tubenfaktors (ggf. Kinderwunschzentrum)
5) Erstellen des Spermiogramms (ggf. Kinderwunschzentrum)
6) Aktueller PAP-Abstrich

Checkliste 3 – Präkonzeptielle Beratung
1) Präkonzeptionelle Beratung bei PCOS und/oder Adipositas
2) Präkonzeptionelle Beratung bei Leistungssport
3) Präkonzeptionelle Beratung bei Essstörungen und Mangelernährung
4) Gewichtsoptimierung und Optimierung der endokrinen Situation
5) Beratung zu Nikotin und Alkohol
6) Beratung zu Medikamenten

Checkliste 4 – Die Abortpatientin
1) Keine zu frühe Analyse/Diagnostik
2) Das Alter der Oozyte als häufigste Ursache
3) Love and tender care: ein MUSS!
4) Viele diagnostische Angebote mit fehlender Evidenz
5) Kinderwunsch ist ein „Geschäft“ Vieler, der Schutz der Patientin durch gute Aufklärung ist sinnvoll

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Welcher Faktor ist laut Prof. Sänger entscheidend für die Beurteilung der weiblichen Fruchtbarkeit? (eine richtige Antwort)
Welche diagnostischen Säulen nennt Prof. Sänger für die Abklärung der Fertilität? (zwei richtige Antworten)
Was empfiehlt Prof. Sänger bei Schmierblutungen in der Lutealphase bei Frauen über 35 Jahren? (eine richtige Antwort)
Welche Aussagen zum polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) sind laut Vortrag korrekt? (zwei richtige Antworten)
Welche Aussage zum Thema „Abortpatientin“ trifft laut Sänger zu? (eine richtige Antwort)
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Quellen
Prof. Dr. med. Nicole Sänger. „Schwanger werden und schwanger bleiben: Checkliste und praktische Ansätze?“, Vortrag im Rahmen der CME-Live-Fortbildung „Herausforderungen in der Schwangerschaft“, 24. April 2024, sanabeo-med.education, Sanabeo Medical News
1) Dolmans MM, Manavella DD. Recent advances in fertility preservation. J Obstet Gynaecol Res, 2019; 45(2):266-279. doi: 10.1111/jog.
2) Goldman RH, Racowsky C, Farland LV et al. Predicting the likelihood of live birth for elective oocyte cryopreservation: a counseling tool for physicians and patients. Hum Reprod, 2017; 32(4):853-859. doi: 10.1093/humrep/dex008.
3) Bozdag G, Mumusoglu S, Zengin D et al. The prevalence and phenotypic features of polycystic ovary syndrome: a systematic review and meta-analysis. Hum Reprod, 2016; 31(12):2841-2855. doi: 10.1093/humrep/dew218.
4) Spritzer PM, Marchesan LB, Santos BR et al. Hirsutism, Normal Androgens and Diagnosis of PCOS. Diagnostics, 2022; 12(8):1922. doi: 10.3390/diagnostics12081922.
5) Lim SS, Davies MJ, Norman RJ et al. Overweight, obesity and central obesity in women with polycystic ovary syndrome: a systematic review and metaanalysis. Hum Reprod Update, 2012; 18(6):618-37. doi: 10.1093/humupd/dms030.
6) Escobar-Morreale HF. Polycystic ovary syndrome: definition, aetiology, diagnosis and treatment. Nat Rev Endocrinol, 2018; 14(5):270-284.doi: 10.1038/nrendo.2018.24.
7) Keck, C, Krone, W. Das Syndrom der polyzystischen Ovarien. Interdisziplinäre Konzepte zu Diagnostik und Therapie des PCOS, Thieme E-Book, 2011; doi: 10.1055/b-002-39798.
8) van der Steeg JW, Steures P, Eijkemans MJC et al. Obesity affects spontaneous pregnancy chances in subfertile, ovulatory women. Hum Reprod, 2008; 23(2):324–328. doi:10.1093/humrep/dem371.
9) Nybo Andersen AM, Wohlfahrt J, Christens P et al. Maternal age and fetal loss: population based register linkage study. BMJ, 2000; 320(7251):1708-1712. doi: 10.1136/bmj.320.7251.1708.