Androgenisierungserscheinungen der Frau – Management in der gynäkologischen Praxis

09.09.2025
Exeltis, Kontrazeption

Die Androgenisierung der Frau bezeichnet als „Sammelbegriff “, laut Professor Thomas Römer, Köln, die vielfältigsten Formen einer vermehrten Androgenwirkung im weiblichen Körper. Die Gesamt­Symptomatik der Androgenisierungserscheinung ist anhand des SAHA­Syndroms ableitbar, darunter Seborrhoe als mildeste Form, Akne, Hirsutismus und androgenetische Alopezie.

„Zusätzlich können Zyklusstörungen ein Anzeichen für Androgenisierung sein, so liegt bei Amenorrhoe eine Androgenisie rung von 4060 % vor, bei der Oligomenorrhoe von 3050 % und bei der An ovulation von 2030 %”, erklärt Römer seine Erfahrungen aus der Praxis.Als potentestes Androgen im weiblichen Körper gilt, so Römer, das Testosteron beziehungsweise durch Umwandlung mittels 5-alpha Reduktase das Dihydrotestosteron (DHT), welches an den Androgenrezeptor in der Zelle bindet.1 Produziert wird das Testosteron zu je 25 % im Ovar und der Nebennierenrinde sowie zu 50 % als periphere Konversion von Androstendionen.

Im Blut sind 80 % des Testosterons an Sexualhormonbindendes Globulin (SHBG) und 19 % an Albumin gebunden. 1 % liegt als freies Testosteron vor. Zu den Ursachen einer Androgenisierung gehören eine vermehrte Androgenproduktion in der Nebennierenrinde oder im Ovar, ein peripher erhöhter freier Testosteronspiegel sowie eine gesteigerte Verarbeitung normaler testosteronvermittelter Informationen. „In vielen Fällen“, betont Römer, „sind normale Androgen-Werte im Blut zu finden – das heißt, der Symptomatik des klinischen Erscheinungsbildes liegt eine gestörte Verarbeitung des Testosterons zugrunde.“
Ursachen
Obwohl der Fokus bei Androgenisie rungserscheinungen in der gynäkologischen Praxis auf dem Polyzystischen Ovarialsyndrom (PCO) liegt, ermutigt Römer, „über den Tellerrand zu blicken und auch an die Nebennierenrinde zu denken“. In diesem Zusammenhang beleuchtete er insbesondere das Late-onset Androgenitalsyndrom (AGS) mit einer ACTH-induzierten (ACTH: Adrenocorticotropes Hormon) Nebennierenrinden-Hyperplasie. Bei über 95 % der Betroffenen ist laut Römers Erfahrungen aus der Praxis das Enzym 21-Hydroxylase defekt, was zu einer Erhöhung des 17-OH-Progesterons im Blut führt. Eine Diagnose erfolge meist im Rahmen der Behandlung von Zyklusstörungen in der Adoleszenz und könne sich zudem durch eine prämature Pubarche sowie Akne oder Hirsutismus äußern, so Römer. Differentialdiagnostisch abzuklären seien zudem androgenproduzierende Tumoren an Ovar, Nebennierenrinde, Hypophyse und Hypothalamus sowie medikamentenbedingte (z. B. durch Danazol, Valproinsäure), konstitutionelle und idiopathische Androgenisierungserscheinungen. Zudem könne eine Hyperandrogenämie auch mit einer Hyperprolaktinämie einhergehen.2
Besonderheiten in der Anamnese und Diagnose
Körperinspektion
In der Anamnese spielt bei der Androgenisierung der Frau die körperliche Untersuchung eine entscheidende Rolle, „vor allem dann, wenn es um einen Hirsutismus geht“ erklärt Römer. Als objektive Hilfsmittel zur Inspektion der Körperbehaarung an den Prädilektionsstellen (Oberlippe, Kinn, Wangen, Linea alba, Genitalbereich, Oberschenkel) haben sich die Beurteilung nach Baron3 oder der Ferriman & GallweyScore4 erwiesen. Ähnlich gut lässt sich auch ein Haarausfall kategorisieren: Hier dient die LudwigSkala5 als hilfreiches Diagnose-Tool, um den Schweregrad einer androgenetischen Alopezie bei Frauen – auch als Female Pattern Hair Loss (FPHL) bezeichnet – zu beurteilen. Insgesamt empfiehlt Römer, die Scores und Skalen auch in die Therapiekontrolle mit einfließen zu lassen. Anders ist die Anamnese bei Akne: Ohne ein universell akzeptiertes Scoring-System erfolgt die Einteilung beispielsweise in leicht, mittel oder schwer.
Anamnestische Fragen
Neben einer sorgfältigen körperlichen Anamnese umfasst die Untersuchung auch eine Befragung der Patientin zu Zyklusstörungen. Neben einer sekundären Amenorrhoe tritt häufig auch eine Corpus luteum Insuffizienz auf, „die speziell bei Kinderwunschpatientinnen behandlungsbedürftig ist“, betont Römer. Auch das Absetzen hormoneller Kontrazeptiva gehe nicht selten mit einer Verschlechterung des Hautbildes einher, gibt der Gynäkologe im zeitlichen Symptomverlauf zu bedenken.
Hormonbestimmungen zum Ausschluss von Tumoren, Cushing und Late-onset AGS
Die Basislabordiagnostik schließt die Bestimmung von Testosteron, Androstendion, Dehydroepiandrosteron (DHEAS), Prolaktin und SHBG ein. „Auch wenn androgenproduzierende Tumoren selten auftreten, müssen sie in der Diagnostik berücksichtigt werden“, bekräftigt Römer und weist auf zwei wichtige Punkte hin: „Tumorbedingte Androgenisierungserscheinungen treten sehr plötzlich und in massiver Form auf.“ Der Nachweis erfolgt durch sehr hohe Androgenspiegel (T>15μg/ml; DHEAS>7μg/ml).
Eine autonome Cortisolproduktion oder ein Cushing-Syndrom können mittels Dexamethason-Kurztest ausgeschlossen werden. Bei Verdacht auf ein Late-onset AGS kann dieser Test problemlos mit dem ACTH-Stimulationstest zum Ausschluss eines 21-Hydroxylase-Mangels kombiniert werden. Beide Tests sind gut in der Praxis durchführbar, so Römer, und weist daraufhin, „den ACTH-Test möglichst in der Follikelphase durchzuführen und darauf zu achten, dass die Patientin aktuell keine Kortikoide einnimmt bzw. über einen längeren Zeitraum keine eingenommen hat.“
Antiandrogene Therapie in der gynäkologischen Praxis
Eine systemische Therapie hält Römer dann für sinnvoll, wenn eine Patientin mit unregelmäßigem Zyklus ein oder mehrere ausgeprägte Symptome aufweist und gleichzeitig ein Kontrazeptionswunsch besteht. Mit Blick auf die Therapieziele bei Androgenisierungserscheinungen – Reduktion der Androgenproduktion in den Ovarien und der Nebennierenrinde sowie der peripheren Androgenproduktion, Stimulation der SHBG-Synthese und Blockade der Androgenrezeptoren – hat die Gabe kombinierter oraler Kontrazeptiva (KOK) einen hohen Stellenwert.6 Tabelle 1 zeigt die Indikation zur topischen und systemischen Behandlung bei Akne, Hirsutismus und androgenetischer Alopezie. Das in KOK enthaltene Ethinylestradiol (EE) führt zu einem Anstieg des SHBG-Spiegels, was die Menge des gebundenen Testosterons erhöht und das freie Testosteron vermindert. „Ethinylestradiol ist wirksamer als Estradiol oder Estradiolvalerat. Die orale Form ist der transdermalen Applikation vorzuziehen“, empfiehlt Römer. Auch Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung (Chlormadinonacetat, Drospirenon, Dienogest, Cyproteronacetat) spielen eine zentrale Rolle in der Therapie und wirken, indem sie die ovarielle Androgensynthese supprimieren und den peripheren Androgenrezeptor blockieren. Drospirenon hemmt zudem die 5-alpha Reduktase.6,7

Bei Kontrazeptionswunsch könne sowohl die Anwendung eines Kombinationspräparates als auch eines Gestagen-Monopräparates Androgenisierungserscheinungen positiv beeinflussen, wobei Römer ein KOK mit EE und einem antiandrogen wirksamen Gestagen bevorzugt. In der Monotherapie ist laut Expertenmeinung Drospirenon aufgrund seiner antiandrogenen Partialwirkung besonders geeignet.

In der Praxis befürwortet Römer die Langzeiteinnahme von KOK ohne Pause – das kann je nach Präparat off-label sein – damit die Androgenproduktion am Ovar dauerhaft unterdrückt wird. „In der Regel dauert es 6-9 Monate, um einen klinischen Effekt zu erzielen“, erklärt Römer und rät, die Patientin darauf vorzubereiten. Bei schweren kutanen Androgenisierungserscheinungen ist die engmaschige Zusammenarbeit mit einem Dermatologen ratsam. Eine antiandrogene Therapie empfiehlt Römer bei allen Akneformen sowie bei Hirsutismus, gegebenenfalls in Kombination mit einer topischen Begleittherapie.8,9 Die androgenetische Alopezie – bei der Minoxidil (2 % Lösung) die erste Behandlungsoption darstellt – kann, wenn zusätzlich eine Hyperandrogenämie vorliegt, ebenfalls mit oralen Antiandrogenen therapiert werden.10
Tabelle 1: Indikation zur topischen und systemischen Behandlung bei Akne, Hirsutismus und androgenetischer Alopezie nach: von Wolff et al. (2011)(6)
Take Home Messages
  • Androgenisierungserscheinungen stellen häufige Probleme in der Praxis dar und sollten thematisiert werden.
  • Zur Diagnostik sind eine gründliche Anamnese, klinische Untersuchungen und Labordiagnostik unerlässlich.
  • Sehr wichtig ist der Ausschluss von androgenproduzierenden Tumoren bzw. eines Late-onset AGS.
  • Die Therapie sollte individuell erfolgen – KOK mit antiandrogenen Gestagenen spielen dabei eine zentrale Rolle.
  • Bei kutanen Androgenisierungserscheinungen empfiehlt sich eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Dermatologen.
  • Das PCO-Syndrom bedarf einer zeitgerechten gynäkologischen Diagnostik und Therapie. DE-2407-01779
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Welche Labormarker sind laut Römer zur Basisdiagnostik bei Verdacht auf Hyperandrogenämie relevant? (Zwei richtige Antworten)
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Welche Gestagene mit antiandrogener Wirkung sind laut Römer zur Behandlung kutaner Symptome geeignet? (Zwei richtige Antworten)
Welche Maßnahme ist laut Römer nicht ausreichend allein zur Therapie schwerer Androgenisierungserscheinungen? (Zwei richtige Antworten)
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Quellen
Prof. Dr. Thomas Römer, Köln. „Androgenisierungserscheinungen – Management in der Praxis“, Vortrag im Rahmen der CME-Live-Fortbildung „‚Hyperandrogenismus und polyzystisches Ovarialsyndrom“, 10. April 2024, sanabeo-med.education, Sanabeo Medical News
1) Yen SSC, Jaffe RB, Barbieri RL (Hrsg.) The human menstrual cycle: Neuroendocrine regulation, Reproductive Endocrinology. Physiology, Pathophysiology and Clinical Management, 1999; 191-217.
3) Baron J. Diagnosis and therapy of hirsutism. Zentralbl Gynäkol, 1974; 96 (5):129-142.
4) Ferriman D, Gallwey JD. Clinical assessment of body hair growth in women. J Clin Endocrinol Metab, 1961; 21:1440–1447.
5) Ludwig E. Classification of the types of androgenetic alope- cia (common baldness) occurring in the female sex. Br J Dermatol. 1977; 97:247–254.
6) von Wolff M, de Viragh P, Stute P. Androgenisierungserscheinungen der Frau. Gynäkologie, 2011; 3:10–15.
7) Römer T, Oppelt PG, Wiegratz I. Kontrazeption mit Gestagen-mono – ein Update. Frauenarzt, 2022; 1:17-21.
8) Rabe T, Albring C, Blume-Peytavi U et al. Hirsutismus – Medikamentöse Therapie: Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin e.V. und des Berufsverbands der Frauenärzte e.V. J. Reproduktionsmed. Endokrinol, 2015; 12 (3):102-149.
10) Wolff H, Fischer TH, Blume-Peytavi U. Diagnostik und Therapie von Haar- und Kopfhauterkrankungen. Deutsches Ärzteblatt, 2016; 113:377-386, doi: 10.3238/arztebl.2016.0377.